105 BEREKET

Bereket aus Ghergef, einem Dorf im Süden Eritreas, ist 28 Jahre alt. Er wäre gerne ein Star, dann hätte er keine Sorgen mehr. Bereket gelang 2014 die Flucht aus Eritrea. Sein Asylantrag wurde am 26.5.2016 positiv beschieden.

„Etwas, was einem gerne Leben lässt“.

10 000 Frauen, Männer und Kinder sind in den letzten zwei Jahren im Mittelmeer ertrunken. Bereket hat die Fahrt übers Meer überlebt. Im Rumpf des Schiffes, welches ihn von Libyen nach Europa brachte, verschmolzen die Körper von 800 Menschen zu einem, verbunden für 48 Stunden auf Leben und Tod.

Der Tag, an dem er seinen Fuß auf italienischen Boden setzte, nennt er den glücklichsten Tag seines Lebens. Es war ihm bekannt, dass das Land, auf dessen festem Boden er nun stand, Eritrea einst als Kolonialmacht besetzte. Im Zeltlager an der Äthiopisch - Eritreischen Grenze- seines und seiner Familie provisorisches Zuhause während 10 Jahren - war allerdings nichts zu spüren von art deco und der avantgardistischen Architektur der Colonia Eritrea, deren modernistischer Stil heute noch die Hauptstadt Asmara prägt. Nur die koloniale Gaumenfreude Spaghetti hatte sich landesweit durchgesetzt. Und das Bier.

Aber eigentlich kümmert ihn die Geschichte der Unterwerfung seines Landes unter europäische Machtansprüche der Vergangenheit wenig. Er, der ein großes Stück Welt durchquert hat, sagt von ihr: "Es gibt nur eine Welt. Die Menschen unterscheiden sich in bestimmten Dingen, auch durch die Hautfarbe.... Aber wirklich relevant für das Menschsein, ist das nicht. Mensch ist Mensch“. Zu den kleinen großen Unterschieden zählt er die modischen Eigenarten: so hatte es ihn doch sehr verblüfft, dass Hotpants in Europa als weibliche Oberbekleidung durchgehen.

Gerade ein Jahr war er zur Schule gegangen, als er 1998 mit Mutter und Vater vor dem Krieg aus Äthiopien über die Grenze nach Eritrea floh. Die Familie hatten in Bademe eine kleine Landwirtschaft betrieben, versorgte sich als Getreidebauern mit dem Anbau von Hirse selbst.
Eritrea habe sie gut aufgenommen, sagt Bereket, der den Rest seiner achtjährigen Schulzeit in einer Zeltstadt verbrachte. Kaum hatte er sich selber die schulische Ausbildung für beendet erklärt, als ihm ein Mann auffiel, der Dächer baute. Die dafür notwenige Kunstfertigkeit faszinierte ihn. Der Handwerker nahm ihn in die Lehre, nach zwei Monaten legte Bereket sein Gesellenstück ab.

Seine Familie war über die Jahre gewachsen und er, der Älteste, übernahm die Ernährerrolle für seine fünf Geschwister, Vater und Mutter, so wie es die Tradition wollte. Im Dorf Ghergef, eine Tagesreise mit dem Auto vom Camp entfernt und in einer fruchtbaren Gegend gelegen, errichtete Bereket seiner Familie ein erstes Dach über dem Kopf – ein strohgedecktes Agedo, in dem die Eltern bis heute leben. Das „Musterhaus“ brachte ihm Kundschaft und Aufträge. Sein Leben hatte seinen Fluss gefunden: Er stand um sechs Uhr auf, begrüßte auf einem zweistündigen Spaziergang den Tag, kehrte um 8 Uhr zum gemeinsamen Frühstück zur Familie zurück, um dann gekräftigt und erfrischt sein Tagwerk zu beginnen: Vier bis fünf Häuser deckte er im Monat mit seinen Dächern aus Sari, einer speziellen Art von Stroh, welches in Weiden geflochten und von einer Konstruktion aus 17 halben und 4 ganzen Palisaden getragen wurde.
Endete jeweils im Juni eines Jahres seine sechsmonatige Arbeitsphase als Dachbauer, bestellte er in der Regenzeit von Juli bis September den Garten und half von September bis Januar das Getreide einzubringen.

An seine freien Tagen ging er nach dem Frühstück in die Bar des Dorfes, um den Geschichten der alten Männer zuzuhören. Frauen blieben von diesem Vergnügen ausgeschlossen. Gedichte mochte er schon immer und noch mehr in Verbindung mit Musik.

                               Als er Khartum, die Hauptstadt des Sudans erreicht hatte, rief er seine Eltern an. Er war auf der Flucht, hatte sich heimlich davon gemacht, um ihnen den Abschiedsschmerz zu ersparen. Sein Leben hatte sich verändert, immer stärker war der innere Druck angewachsen, die Angst vor der Verhaftung durch die er zum lebenslangen Militärdienst gezwungen würde. Sein Vater weint noch heute, wenn er mit seinem Ältesten telefoniert. Wann die Familie sich wiedersehen kann, bleibt ungewiss. Seinen 15-jährigen Bruder würde er gerne nach Deutschland holen. Und natürlich seine Freundin.

Seine erste Flucht 2012 war gescheitert und endete in einem ägyptischen Gefängnis an der Grenze zu Israel. Drei Monate blieb er inhaftiert, dann wies man ihn aus. Es sind die schwärzesten Tage seines Lebens. Zu jenem Zeitpunkt hatte er sich nicht zugetraut, den Weg bis nach Europa überwinden zu können. So entschied er sich für Israel.
Es waren dann die Erzählungen der freiwilligen Rückkehrer aus Deutschland nach Eritrea, die seine Vorstellungen wesentlich prägten und ihm sein nächstes Ziel nannten. Ihre Schilderungen deckten sich mit den Medienberichten über das Deutsche Land und seine Leute. 2014 machte er sich von klarem Ziel geleitet, ein zweites Mal auf- durch den Sudan, Libyen, übers Meer nach Italien. Die letzten Etappe von Rom nach Deutschland fuhr er im Zug.

Über sein Leben sagt er, er empfinde keine Schwere. Normal sei es und eben so, wie man es sich selber mache. Leichtigkeit empfinde er schon. Die gäbe es ja immer auf der Welt. „Etwas, was einem gerne Leben lässt“.

Bereket errichtet seit Ende Mai ein Dach in der Tradition der Bewohner Ghergefs im Garten des Museums Europäischer Kulturen. AGEDO - [k]ein Dach überm Kopf ist Teil des gemeinsamen Ausstellungsprojektes "daHEIM:Einsichten in flüchtige Leben" von KUNSTASYL und dem Museum Europäischer Kulturen in Berlin.



AGEDO - [K]ein Dach überm Kopf

1 Fuhre Stroh, 34 halbe und 4 ganze Kieferpalisaden, 200 Meter Weiden und Hunderte von Metern Schnur benötigt Bereket zur Konstruktion und Bau seines ersten Daches in Deutschland. Der Architekt Aymen geht bei ihm in die Lehre.