make the future - Glückwünsche in den Kosovo

23.10.2019 daHEIM

Der Edelputz in hellem Grau reflektiert das Licht der Scheinwerfer in der Dunkelheit. Konturen eines Hauses zeichnen sich in der Dunkelheit ab. 2016, bei meinem letzten Besuch, löste sich das Gebäude in der Dämmerung auf.

Seine Erscheinung fiel im Vergehen des Lichtes in sich zusammen, so wie das Leben der Familie Veliu Bestimmung und Selbstverständlichkeit verloren hatte, nachdem Bashkim und Fahrije 2014 mit ihren drei Kindern den Kosovo verlassen hatten, um Asyl in Deutschland zu beantragen.

Damals schienen die Wände die schweren Träume ihrer Bewohnerinnen nicht tragen zu können und das Dach bot ihren Gedanken keinen Schutz. Das Haus, obwohl alt, wirkte provisorisch, Entbehrung und Leid hatten sich ins Mauerwerk eingeschrieben.

Jetzt glitzert das Haus sogar ein wenig und schickt einen ironischen Hauch von Glamour in die Nacht über Dyz, der kleinen Gemeinde im Kosovo, eine halbe Stunde Autofahrt von der nächstgelegenen Stadt Podujeva entfernt. Vielleicht sind es aber auch die Träume der BewohnerInnen die sich wie Sternschnuppen aus dem Putz lösen und zum Himmel steigen
Als die Familie nach vier Jahren, ermüdet vom endlosen Asylverfahren mit unvorhersehbarem Ausgang, aus Deutschland zurückkehrte, blieben Eltern und Kindern nur die eigenen Hände um Stabilität zu schaffen auf dem sumpfigen Grund eines in Korruption untergehenden Landes. So beschreibt es Bashkim. Seine Augen glänzen vor Wut am Vorabend der Wahlen im Kosovo, genauer gesagt: der vorgezogenen Neuwahlen.

Korruptionsvorwürfe und eine Einladung vor das Sondertribunal für Kriegsverbrechen in Den Haag an den zurückgetretenen Regierungschef Ramush Haradinaj führten zum schnellen Sturz der nur noch für wenige Stunden amtierenden 'Kriegskoalition'. Der Allianz für die Zukunft Kosovos (AAK) Haradinaj's und der Demokratischen Partei Kosovos (PDK) von Interimspräsident Hashim Thaci stehen zwei ehemaligen UÇK1-Kommandanten vor. Die Glorie der Kriegshelden strahlt nur noch schwach, auch weiteren Bündnispartnern der bis dato Regierung haftet der Ruch von Kriegsverbrechern an.

Im Haus der Familie Veliu ist es warm. Nicht nur das Feuer im Ofen, auch die Stimmung heizt den Wohnraum auf, in dem sich mittlerweile etwa zwanzig Familienmitglieder und Freunde versammelt haben. Die Kinder thronen hinter den Köpfen der Erwachsenen auf den Lehnen der Polstersessel. Die Wahlen und mein Besuch sind die Gründe für eine Zusammenkunft, die sich im Fünf-Minuten-Takt um einen Gast erweitert. Einer davon ist Samir. Die Beziehung zwischen dem Bauunternehmen und Bashkim, der einst sein Mitarbeiter war, hat sich längst in enge Freundschaft gewandelt. Samir führt Wahlkampf mit eigenem Mandat. Seit Tagen ist er unterwegs von Freund zu Freund und fordert zur Stimmabgabe auf, kämpft gegen politische Lethargie und das Ohnmachtsgefühl der ihm Nahestehenden angesichts einer Realität, deren Boden seit der Unabhängigkeit des Kosovo von keinem rechten oder linken Wahlversprechen befruchtet wurde. Mit graumelierten Zopf und legerem Auftreten entspricht Samir dem klassischen Bild des Liberté-toujours- Linksintellektuellen. Samir erhebt Anspruch auf die Zukunft des 2008 unabhängig gewordenen Landes, sieht sich und die nachkommenden Generationen nicht mehr als Verwalter*innen eines blutigen Erbes.

Vetëvendosje, Selbstbestimmung! Die Forderung wurde zum programmatischen Namen der Oppositionspartei LVV erhoben, die neben der LDK, der Demokratischen Partei, als Favoritin der Wahl gilt. Am Abend des vierten Oktobers versammeln sich ihre Anhänger*innen auf dem Sheshi Skënderbeu in Priština um vor der Statue des albanisch-kosovarischen Nationalhelden Skenderbeg noch einmal vor dem Urnengang am 6.10. den Willen zur Selbstbestimmung der Bürger*innen des Kosovo zu bezeugen. Zeitgleich ringen auf dem Sheshi Zahir Pajaziti die PolitikerInnen der Regierungspartei um den Machterhalt. Zwischen Abgesang und Aufbruch, politischem Sonnenauf - und -untergang liegen fünfhundert Meter Flaniermeile in der Kosovarische Hauptstadt Prishtina.

„Das Schlimste“, sagt Bashkim, „das Schlimmste wäre, wenn die Alten wieder gewählt würden“. Albin Kurti, der ehemalige Studentenführer, einer der über jeden Korruptionsverdacht erhaben ist und bis vor kurzem böser Bube des politischen Establishments, ist auch sein Hoffnungsträger. Albin Kurti, der 'radikale Polit-Rebell'*2, hat vielleicht Bashkims Vertrauen gewonnen, weil er sich in den Jahren nach der Unabhängigkeit des Kosovo gegen jede Form der politischen Annäherung an die Serben eingesetzt hatte. Bashkims Nächte blieben schlaflos, der Film der Erinnerung an die Massenerschießung während des Kosovokrieges in Dyz hielt ihn wach. Die serbischen Angreifer hatten ihn, den damals 20-jährigen gezwungen, zu zusehen, wie das halbe Dorf massakriert wurde.

Keinen Kilometer trennt die Loggia Veliu, den Hof der Familie Bashkims, von dem Feld der Toten, an die noch 2016 kein Zeichen auf dem dunklen Acker erinnerte. Jetzt sind ihre Namen genannt, in Steinplatten gemeißelt und dem Vergessen entrissen. Das Licht über dem Mahnmal geht nicht aus. Die Grabplatten leuchten so hell wie die Wände von Bashkims neu verputztem Haus.

„Lass uns hören, was die Männer sagen.“ Die elfjährige Fatime führt mich über die Veranda in einen abgetrennten Raum. Heftigen Diskussionen dringen nach außen. Es ist nach 21 Uhr. Ein Abgeordneter der Vetëvendosje kämpft von Bashkims Sofa aus um die letzten Stimmen. Nach der privaten Wahlkampfveranstaltung in der Loggia Veliu wird er noch drei weitere Wohnzimmer besuchen und mit den kritischen und desillusionierten BewohnerInnen der Häuser, die in der Dämmerung entschwinden, reden.

Bashkim wird für Selbstbestimmung votieren.
make the future - der claim des global players SHELL zieht sich in grossen Buchstaben über die Hügel vor Prishtina hin.

Ich bin schon in Albanien als das Wahlergebnis verkündet wird. Die Opposition hat gewonnen. Die Menschen haben für Albin Kurti und Vetëvendosje, für Selbstbestimmung und Demokratie gestimmt.

p.s.: make the future - Bashkim hat vor über einem Jahr einen Antrag auf ein Arbeitsvisum für Deutschland gestellt. Noch glaubt er nicht an eine Zukunft für sich und seine Familie im Kosovo.

 

1UÇK Ushtria Çlirimtare e Kosovës // de.wikipedia.org/wiki/U%C3%87K
2https://www.dw.com/de/kommentar-die-stunde-der-realpolitik-im-kosovo/a-50723028

KUNSTASYL

Aufruf zur Selbstbestimmung - Vorbereitung der Wahlveranstaltung der LVV Vetëvendosje in Prishtina auf dem Skenderbeg Platz.

KUNSTASYL

Um den Machterhalt - Wahlveranstaltung der amtierenden Regierungspartei.

KUNSTASYL

22 Stunden bis zur Wahl am 5.10.2019. Ein mit Albanienvereinter Kosovo ist eine Vision.

KUNSTASYL

Fahrije und Bashkim Veliu mit seinen Eltern und einer Schwester Farhjies. Auch sie hat einige Jahre in Deutschland gelebt. Wählen wird sie nicht.

KUNSTASYL

Familie Veliu im Wohnzimmer des Elternhauses in Dyz. Im Vordergrund, 2. Reihe links, Fatime, die mit ihren Eltern und ihren Brüdern vier Jahre in der Unterkunft für Asylsuchende in Berlin-Spandau verbrachte. Die Elfjährige spricht immer noch fließend deutsch.